Roadtrip: Los Angeles

LA ist nicht Las Vegas – diese Erkenntnis war mir eigentlich im Vorhinein klar.

Wenn man jedoch seine ersten Eindrücke der Vereinigten Staaten von einer Stadt wie Las Vegas prägen lässt, begeht man schnell den Fehler diese auf den Rest der „Großstädte“ zu extrapolieren. Die Anführungszeichen sind ein Tribut an den Fehler, den ich im Satz davor begangen habe: Ich sprach von einer Stadt wie Las Vegas – es gibt keine weiteren Städte wie Las Vegas.

Las Vegas, oder besser „die Örtlichkeiten rund um den Strip“, sind in jeder Beziehung so angelegt, dass sie dir maximal wenig auf den Keks gehen sollen. Zu jeder Querstraße gibt es drei Alternativen, jedes Richtungsschild ist so groß geschrieben, dass die Kontaktlinsen auch mal im Hotel vergessen werden können und parken, sollst du kostenlos, mit der Rangierfläche eines Tennisplatzes. Ob Steak, Sushi oder gepresstes, frittiertes Hühnermus: alles in in Gehreichweite deines Schlafpalastes. Die Freundlichkeit ist den Bedienungen dabei ins Gesicht getackert – nicht mal bei gestrichenem Trinkgeld wäre den Tablettrangierern anzumerken, dass sie dir den Free-Refill am liebsten als Einlauf verpassen möchten.

Convenient

Ein geschlossenes Ladenlokal zu nachtschlafender Stunde wirkt mit der Zeit sogar latent beklemmend auf einen. Auch nachts um 3.00 Uhr kannst du noch im Shop um die Ecke was einkaufen und wenn du danach zurück nach Hause kommst, begrüßt dich der Valet mit seinem inbrünnstigten „Welcome back!“ bevor er dir die Einkaufe aus- und dein Auto wegräumt … für $2 Trinkgeld. Ja, man könnte es so sagen: Las Vegas trägt dir den Hintern nach.

We want your Soul

Der Grund für das alles dürfte klar sein: Gehe möglichst schnell wieder ins Casino und stecke deine Scheinchen in die blickenden Kästen – ein Cocktailmädchen bringt dir gleich deinen kostenlosen Long Island Ice Tea. Aushängende Uhren suchts du vergebens und zwischen den Casinos wird freier Himmel nach möglichkeit vermieden … am Ende kriegst du noch eine wage Vorstellung davon, welche Tageszeit herrscht – wie unangenehm!

Selbst die Infrastruktur ab vom Strip ist, soweit ich das bisher abschätzen kann, einzigartig. Alle Straßen wirken aufgeräumter als LA, die Interstates sind selten verstopft, genug Alternativen sei dank. Las Vegas hat noch Platz ohne Ende. Wie ein Schimmelteppich breitet sich diese Stadt in alle Richtungen der noch ausreichend leeren Wüste aus. Entlang der breiten, sauberen Straßen der „besseren“ Wohngebiete von Green Valley oder Summerlin kippen die Locals links und rechts ihre begrünten Vorstadt-Häuschen aus und stellen ihre blitzenden Karossen daneben.
Der anfangs befremdliche Eindruck, den man als halb-auf-dem-Land-aufgewachsener mitteldeutscher Vorstadtbewohner bekommt, verflüchtigt sich nach einigen Wochen schlagartig: Las Vegas bleibt immer begreifbar, überschaubar, beherrschbar.

Anders

LA ist anders – es ist größer der Vegas und es hat keinen Platz mehr. „Groß“ ist hier im Sinne von Fläche gemeint. Los Angeles ist aus einer unüberschaubaren Zahl an kleinen Ortschaften entstanden, jede mit ihren eigenen Problemen. Auf der Fläche von 1.300 Quadratkilometern wurde ein Geflecht kleiner Mikrokosmen eines Tages zur Supermetropole erklärt und von außen als eine große Stadt wahrgenommen.
Erst wenn man mal durchfährt fällt einem auf, dass hier jede Straße anders aussieht und die wenigsten lassen einen die Größe der Greater Los Angeles Metropolitan Area erkennen. Mal fährst du durch ein Viertel, das problemlos auch nach Monheim am Rhein gehören könnte, dann biegst du ab und fühlst dich an Düsseldorf erinnert. Der Financial District schafft es immerhin noch nach Frankfurt am Main.

Erst Blicke vom Freeway oder den Hollywood Hills eröffnen einen faszinierenden Blick auf endlose Straßenzüge und einen nicht enden wollenden Häuserteppich – DAS ist LA. Ob der Größe dieses metropolen Etwas, stockt einem nach europäischen Maßstäben dann noch hier und da mal der Atem. Vermutlich wäre der Eindruck des Ruhrgebietes ähnlich, wenn man ausreichend hohe Berge daneben auftürmen würde, die einen Scenic View hergeben. Das Gasometer in Oberhausen reicht da nicht wirklich. ;)

Ja, wie war’s denn jetzt?

Ich bin kein Städte-Touri, eigentlich fühle ich mich überhaupt nicht als Touri, weil ich immer auf möglichst wenig Aufmerksamkeit bedacht bin. Ich wollte weder die Universal Studios sehen, noch meine Initialen auf’s Hollywood Sign kritzeln. Ich wollte eine solche Stadt am liebsten vom Auto aus erleben, mich treiben lassen und dort spontan anhalten, wo es interessant erscheint.
Jeder, der schon mal in LA war, wird vermutlich die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn ich offenbare, dass ich in zwei Tagen LA nur den Santa Monica Pier und Venice Beach gesehen habe. Den Rest der Zeit waren wir (Lynne & ich) motorisiert auf den Straßen unterwegs, allein zwei mal den Mulholland Drive auf und ab. Dabei begreife ich eine Stadt viel ungefilterter, als wenn ich die Hotspots des Lonely Planets abarbeite – aber da ist vermutlich jeder Jeck anders.

Unter’m Strich war LA eine wertvolle Erfahrung. Als Filmstadt kennt man viele Ecken aus dem Kino und daraus ergibt sich ein verklärtes Bild, das nun einen Rahmen erhalten hat. So als würde ein Puzzle, dass man seit Jahren rumliegen hat, plötzlich, ganz von selbst, an die richtigen Stellen rutschen.

Ich bitte die leicht depressiven Fotos zu entschuldigen, wo doch LA normalerweise für Sonne, Strand und Meer steht. Im November hat es aber selbst die Stadt der Engel schwer, gegen die Jahreszeiten anzukämpfen. Nach 2 Monaten sonnenverwöhntem Las Vegas, habe ich mich über das raue Wetter unserer zwei Besuchertage fast gefreut … ich mag aufgewühlte See. Dabei ist meine Kamera auf der S/W-Einstellung hängengeblieben, was die Atmosphäre besser einfing als ich dachte.

Alle Fotos (auch einige in Farbe) gibt’s im Flickr-Set.

LA war toll, irgendwo anders als früher vorgestellt, aber dann doch irgendwie „richtig“. Ich komme gerne wieder – dann aber immer noch nicht für die Universal Studios. ;)

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